Wanda Golonka
Choreographin, Regisseurin
Interview: Isabelle Reynaud
Berlin ,
8. März 2010
Warum haben Sie das Theater gewählt?
Ich glaube, ich habe überhaupt nicht das Theater gewählt, sondern ich wollte Tanz „machen“, ohne an das Theater zu denken. Dann hat sich das so entwickelt, dass ich zum Theater gekommen bin. Warum wollten Sie tanzen? Ich weiß es nicht. Ich wollte es! Das war ganz klar, schon als Kind.
Können Sie Ihre Arbeitsweise von der Idee bis zum Produkt beschreiben?
Es hängt von verschiedenen Faktoren ab. Die erste Frage die sich stellt, ist: Kenne ich die Darsteller mit denen ich arbeite? Wenn wir noch keine gemeinsame Sprache haben, dann versuche ich erst einmal verschiedene Improvisationen: mit Texten, Bewegungen, Stimme und Training. Es handelt sich um verschiedene Arten von Training. Diese benutzen wir um herauszufinden, was am schnellsten ein ideales Fundament etabliert, eine Plattform um über dasselbe reden und denken zu können.
Wiederum unterscheidet sich die Arbeitsmethode darin, ob ich eine klare Vorlage oder ein komplett eigenes Stück mache. Meinen Ausgangspunkt finde ich sowohl in meiner eigenen als auch in der Biographie der Mitwirkenden. Eine wichtige Rolle spielt auch das Stück, welches ich zuvor gemacht habe. Die Spuren, die mein letztes Stück hinterlassen haben, beeinflussen das Thema an dem ich arbeite. Ich frage mich: Wo kreuze ich mich mit meinen Darstellern und wo entstehen Spannungen, neue Fragen? Was interessiert mich an dieser Person und warum habe ich sie gewählt?
Es sind 20 jährige, 40 jährige oder 70 jährige Darsteller. In dem Augenblick in welchem die Darsteller den Proberaum betreten, bekommen wir ihre Geschichte. Sie tragen ihre Geschichte in die Produktion hinein. Durch ein bestimmtes Thema kann man etwas über ihre Biographie erfahren. Manchmal haben sie es mir erzählt, wie z.B. Beim Thema Tod: „Als Ich den Tod erlebte….“ Dabei ist das Gefühl oftmals schon in ihren Körpern integriert, es muss nicht noch mal betont werden.
Letztendlich ist nur die Frage was man beleuchtet. Ich werde von Bildern, Bewegungen und vielem anderen inspiriert. Zuerst ist das Chaos, aber das verstärkt nur die Lust der Arbeit. Das ist Inspiration. Aus diesem Ausprobieren, Sammeln, Austesten und Verwerfen ergeben sich neue Fragen, mit denen ich dann weiter arbeiten kann. Manchmal stelle ich auch nur die Fragen in den Raum, wobei sich auch neue Situationen ergeben können.
Im Moment beschäftigen wir uns mit Identität, Öffentlichkeit und Privatsphäre um auszuloten, ob es überhaupt noch etwas privates oder intimes gibt. Wie weit kann man Intimität auf der Bühne präsentieren ohne dass sie öffentlich wird? Wir kreisen um diese Fragen herum. Je mehr Darsteller in einer Vorstellung (im Augenblick sind es 12), umso schwieriger ist es. Wir müssen eine Form für unsere Präsentation finden und alle den ganzen Weg zurückgehen um herauszufinden: Was gehört zu mir? Wer bin Ich in dieser Vorstellung?
Dürfen die mitwirkenden Darsteller eigene Ideen, Bilder und Bewegungsabläufe in die Choreografie mit einbringen?
Das kann so vieles sein, je nach Aufführungsort. Ich kann das nicht wirklich von dem Prozess trennen. Ich weiß wo es stattfinden wird, wie der Raum aussieht und die Proportionen aussehen. Ich weiß auch was mich betroffen macht bei genau dieser Person, diesem Darsteller oder dieser Darstellerin und wenn eine andere Person auf der Bühne stehen würde, würde es etwas komplett anderes erzählen. Es würde vielleicht gar nichts sagen. Ich könnte auch sagen, ich würde keine Resonanz in mir spüren.
Ich stelle auch Aufgaben. Ich stelle den Darstellern Fragen und diese brauchen Zeit um darüber nachdenken zu können. Ich kann Sie auch bitten ihre Familien und Freunde auszuhorchen, z.B. ob sie etwas immer wieder machen ohne sich darüber bewusst zu sein.
Ich, zum Beispiel, brauche einfach nur einen Telefonhörer abzunehmen und mein Mund wird schief. Das wusste Ich vorher nicht. Mit dieser Information kann man dann machen was man will. Da kann ein Klang herauskommen oder eine Komposition oder aber auch eine Bewegung. Es ergibt sich Material. Und irgendwann habe ich genug Material um zu komponieren. Das ist wie in der Musik oder in der Bildenden Kunst.
Gibt es einen Probenverlauf, eine Création die Sie am idealsten empfunden haben?
Alle. Ich finde das alles, was im Probenprozess sowie, im Leben selbst stattfindet, ein notwendiger Teil des Ganzen ist. Manchmal schwieriger oder leichter, aber ich finde alles gut. Ich arbeite seit 1985 als Choreografin und muss zugeben, dass ich immer ideale Arbeitsbedingungen gehabt habe. Das vereinfacht natürlich den Probenprozess und die Arbeit.
Gibt es einen Zusammenhang zwischen guten Prozess und dem endlichen Ergebnis. Also könnte man sagen je besser der Probenprozess desto besser die Vorstellung?
Man kann immer einer Vorstellung ansehen was während dem Probenverlauf stattgefunden hat. Wenn alle Mitarbeiter dasselbe wollen und das gleiche Ziel haben, dann sieht man das der Vorstellung an. Aber ob es Konflikte gegeben hat oder ob alles harmonisch war, das kann ich ihr nicht ansehen. Man sieht es der Vorstellung auch an wenn es Darsteller gibt, die nicht verstanden haben, um was es geht. Dann entstehen Konflikte während der Aufführung.
Was ist das Essentielle in einem Probenverlauf /Création um das erwünschte Resultat zu erzielen?
Vertrauen! Damit man sich öffnen kann. Eine Art von Vertrauen, dass den Darstellern ermöglicht zu suchen ohne zu wissen was sie suchen. Das ist essentiell. Das Gefühl zu geben, dass ich den Anderen trage und dass die Mitwirkenden mir vorab so viel Vertrauen schenken, dass sie in der Lage sind sich von Anfang an ganz zu geben. Das „Sich gehen lassen Moment“ ist für mich essentiell.
Was ist das größte Problem auf das Sie in einem Probenverlauf, Créationsprozess gestoßen sind. Das Sie nie wieder erleben wollen und auf das Sie keine Lösung gefunden haben?
Etwas „müssen“ das will ich nicht! Ich will auch nicht ein Produkt herstellen. Das kann ich auch nicht. Für mich sind Probenzeit und Aufführungen Prozesse. Wenn ich das Gefühl habe ein Theaterhaus will ein Produkt von mir haben, dann weigere ich mich.
Wie definieren Sie Produkt?
Es muss gefallen. Oder es muss Erwartungen erfüllen. Es muss funktionieren. Viele Regeln die mich nicht interessieren, blockieren mich. Das macht mich einfach unfrei.
In jedem Probenprozess entstehen neue Fragen und neue Problematiken, die man zu lösen versucht. Vielleicht liegt es an den verschiedenen Konstellationen von Menschen mit denen ich arbeite oder an den verschiedenen Themen. Das gehört zu meiner Arbeit. Das was ich unerträglich finde, ist der Eingriff von außen, Politik, eine diktierte Zuschauerquote erfüllen zu müssen.
Wenn alles möglich wäre. Es gäbe weder biologisch, historische oder physikalische Grenzen was würden Sie gerne ausprobieren? Was ist Ihr größter Wunsch?
Ich würde gerne Zeit haben. Ich möchte das Gefühl haben, dass ich in meiner Arbeit, nicht mehr an einen Termin gebunden bin. Ich würde gerne nur noch forschen! Natürlich liebe ich es auch Vorstellungen zu entwickeln.
Ich würde mir auch wünschen, dass man sich dem Publikum mehr öffnet, ihm auf eine andere Art und Weise entgegenkommt. Damit würde eine größere Neugierde für unsere Arbeiten aufkommen.
Vielleicht könnte ein neuer Weg zum Publikum „ Kontinuität“ sein. Nicht einfach etwas abfertigen aber immer wieder etwas verändern, etwas neu entwickeln, während aber auch nach der Vorstellung. Nichts ist fertig, alles ist im Wandel. Aber mir ist klar, dass eine Ur-Aufführung eines Stückes auch immer etwas zu Ende bringt. Auch wenn man nur meint: „Weg damit, dass haben wir jetzt ausprobiert“
Aber mein größter Wunsch ist, wie schon gesagt, mehr Zeit zu haben um wirklich forschen zu können. Ich bin fest davon überzeugt, dass es so vieles zu recherchieren, zu experimentieren gibt. Es ist wirklich schade wenn man das erarbeitete Material viel zu schnell komprimieren und in eine Form pressen muss. Wenn wir keinen Zeitdruck hätten, könnte sich etwas komplett anders entwickeln.
Ich glaube, John Cage hat ein Musikstück über 65 Jahre lang geplant und erarbeitet. Dies zu verwirklichen ist natürlich viel schwieriger, wenn man mit Menschen arbeitet. Aber ich kann nicht sagen ob man 4 - 6 Wochen oder sogar 12 Wochen braucht um eine Produktion zu kreieren, um aus allen Alles nach außen zu kehren. Nein, ich weiß nicht ob ich überhaupt einen Endpunkt setzen würde. Ich würde vielleicht Pausen einlegen. Und das bedeutet nicht, dass man sich in seiner Arbeit von anderen abgrenzt, im Gegenteil, man sollte sich real mit ganz anderen Metiers auseinandersetzen. Nicht immer alles aus der Kunst schöpfen, weg von dem Inzestuösen das unserer Arbeit anhaftet.
Wir haben gehört das Sie ein Buch geschrieben haben - über Ensemble Arbeit. Das ähnelt ja auch ein bisschen unserer Arbeit. Wir wären sehr interessiert mehr darüber zu erfahren?
Ich war jetzt 8 Jahre lang Hausregisseurin und Choreografin im Schauspiel Frankfurt unter der Intendanz von Elisabeth Schweeger. Die Intendanz ist jetzt zu Ende gegangen und es wurde vorgeschlagen ein Buch über diese Frankfurter Zeit zu schreiben. Wir haben daraufhin darüber nachgedacht, was für ein Buch es sein könnte und wer es mitgestalten und dazu beitragen könnte. Wir haben uns für die drei Philosophen (Jean-Luc Nancy, Bernhard Waldenfels, Werner Hamacher, red.) entschieden die unsere Salons während der Spielzeit betreut haben. Wir haben sie gebeten, ihre Vorträge, die sie in Verbindung mit unseren Stücken gehalten haben, wieder aufzunehmen aber auch weiter zu entwickeln, ohne aber die Theaterstücke nochmals zu beschreiben.Als Beispiele für die Themen die sie untersuchen kann ich „Die Zeit“ oder „Der Körper“ nennen.Wir hatten jedes Jahr einen anderen Philosophen an unseren Salon geknüpft. Es war so schön, weil es noch einmal eine andere Art der Reflexion, Gespräche und somit Anregung ermöglichte.
Wir konnten auch Fragestellungen, die während der Proben entstanden mit den Philosophen diskutieren – nicht, dass diese während allen Proben präsent waren, eher waren sie eine geistige Begleitung auf die man zurückgreifen konnte. Sie öffneten uns die Augen für mehr existentielle Verknüpfungen in unserer Arbeit und ermöglichten uns ein internationales Netzwerk von Austausch und Reflexion.
Ich Danke Ihnen für dieses Gespräch